Jenny Künkel bildete am 22.10.2020 den Auftakt unserer online Vortragsreihe zu Feminismus, Kapitalismus & Sexarbeit mit ihrem Vortrag: Sexarbeitspolitiken intersektional betrachtet – Zur Rolle von Migrations-, Sozial-, Arbeits- und Drogenpolitik. Der Vortrag betrachtet die aktuelle Debatte um Sexarbeit aus einer Perspektive auf intersektional verwobene Herrschaftsverhältnisse, wie Kapitalismus, Rassismus, Nation und Gender. Kaum waren 2002 mit dem Prostitutionsgesetz Verträge im Gewerbe gültig, folgten 2017 mit dem Prostituiertenschutzgesetz rigide Kontrollen. Die Covid-Krise nutzen Abolitionist*innen nun, um ein Prostitutionsverbot durch Kriminalisierung der Nachfrage verstärkt in die Diskussion zu bringen. Der Vortrag versucht die moralisch aufgeladenen und oft durch wenig wissenschaftliche Evidenz unterfütterten Debatten zu entwirren. Er zeigt auf, dass Verbote insbesondere die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen verschlechtern, zugleich aber Liberalität als Antwort nicht ausreicht. Zur Reduzierung von Prekarität in Sexarbeit und anderen arbeitsintensiven, standortgebundenen Gewerben bedarf es nicht zuletzt der Verbesserung sozialer Absicherung via Migrations- und Sozialpolitik, aber auch Arbeitsrechte und eine Entkriminalisierung von Drogen. Quellen und weiterführende Links zum Vortrag:
Ruby Rebelde hielt am 29.10.2020 den zweiten Vortrag in unserer online Vortragsreihe zu Feminismus, Kapitalismus & Sexarbeit .
Ruby Rebelde ist Sexarbeiterin mit Selbstverständnis als kapitalismuskritische Feministin. Den Podcast Whoroscope betreibt sie mit einer Kollegin. Mit ihren Gästinnen sprechen die beiden über Arbeit oder Aktivismus. Die Hydra e.V.-Vorständin setzt sich für die Entstigmatisierung von Sexarbeit ein. Ihr ist wichtig, das gängige Sexarbeits-Narrativ Kriminalität, Zwang & Opfer zu hinterfragen und um Aspekte wie Resilienz, Ressourcen und Identität in einer ausbeuterischen Gesellschaft zu erweitern. Das liegt ihr als schwerbehinderte Person besonders am Herzen. Die Beschäftigung mit Utopien sieht sie für sich als Gegengewicht zu struktureller Ungleichheit & Ungerechtigkeit. In ihrem Input geht es um Framing, Mythen und Narrative und über die Herausforderung sich den Tabuthemen weibliche Sexualität, Sexarbeit & Behinderung anzunähern.
Weiterführende Links zum Vortrag:
Heute am 08.Mai 2020, jährt sich zum 75. Mal der sogenannte “Tag der Befreiung”. Immer wieder wird in der deutschen Erinnerungslandschaft davon geredet, dass an diesem Tage das sogenannte “deutsche Volk” vom Faschismus befreit worden wäre. Wir wollen nochmal deutlich machen: Die Welt wurde vom faschistischen Deutschland befreit, nicht aber die Deutschen vom Faschismus. Denn ein Großteil der Deutschen hatte die NSDAP gewählt und den Terror der Nazis somit erst ermöglicht. Die Aussage, dass das sogenannte „deutsche Volk“ befreit worden wäre, ist somit geschichtsrevisionistisch – dient sie doch lediglich der Selbstbegnadigung. Die sogenannte “Entnazifizierung” fand höchstens symbolisch statt. Die Geschichte Nachkriegsdeutschlands zeichnet eine erschreckende Kontinuität von nationalsozialistischer Ideologie und deren Auswirkungen von 1945 bis heute. Sie findet ihre Anfänge in der Reintegration von Nazi-Täter*innen in rechtsstaatliche Institutionen sowohl in der BRD als auch in der DDR und setzt sich bereits kurz nach dem Untergang des faschistischen Deutschlands in etlichen rechtsextremen Gewalttaten fort. Andauernd sterben in Deutschland Menschen aufgrund von rechter Gewalt. Die neonazistische und terroristische Vereinigung “NSU” ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Migrant*innen und eine Polizistin, getrieben von menschenverachtendem, faschistischem Gedankengut. An Jom Kippur im Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag, erschoss ein faschistischer Attentäter zwei Menschen in Halle an der Saale und versuchte in eine jüdische Synagoge einzudringen, um dort noch mehr Juden und Jüdinnen zu töten. Die antisemitischen Motive seiner Tat, legte er im Internet dar. Darüber hinaus wird deutlich: Sein Hass richtet sich gegen alles vermeintlich andere; Frauen*, Migrant*innen, Geflüchtete, Antifaschist*innen. Im Februar dieses Jahres erschoss ein rassistischer Attentäter in Hanau neun Menschen. Dies sind nur die jüngsten Gräueltaten, die in Deutschland von rassistischen, antisemitischen, frauenfeindlichen und menschenverachtenden Täter*innen verübt wurden. Unzählige weitere Personen fielen faschistischer Gewalt in den Jahren seit 1945 zum Opfer. Faschismus entsteht nicht einfach so im luftleeren Raum. Viele jüdische Autor*innen und Philosoph*innen haben während und nach der Zeit des Faschismus in Deutschland, die gesellschaftlichen Verhältnisse analysiert und benannt, in welchen faschistische Ideen entstehen und wachsen können. Die gesellschaftlichen Bedingungen von damals, haben sich hier und da gewandelt, an ihren grundlegenden Strukturen hat sich allerdings nichts verändert. Noch immer unterliegt die Gesellschaft einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, welches den Grundsatz der Verwertbarkeit über die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen und ihrer Einzigartigkeit stellt. Die Logik dieses Systems beruht auf Konkurrenz anstelle von Solidarität, auf Akkumulation von Kapital anstatt bedürfnisgerechtem Ressourcenzugang für alle. Das Narrativ dieser Gesellschaftsordnung beurteilt eine Person anhand ihrer “Produktivität” beziehungsweise ihrem “objektivierbaren Wert” für die Gesellschaft. Diese Kategorisierung von “Menschengruppen” ist einer der Grundpfeiler faschistischer Ideologien. Sie wird von unserem heutigen Wirtschaftssystem nicht nur ermöglicht, sie wird dadurch sogar befeuert. Vor dem Hintergrund dieser Analyse betrachten und verstehen wir Theodor W. Adornos erste Forderung an Erziehung, “dass Auschwitz nie mehr sei”, als eine Forderung an uns selbst. Es ist daher elementar, dass sich Deutsche – einschließlich des Großteils der Mitglieder von about:utopia - nicht nur als Nachfolgegeneration der Nazi Täter*innen begreifen, sondern vielmehr auch die damit einhergehende Sozialisierung zum Gegenstand der Kritik machen. Daraus folgt, dass wir uns in unserem antifaschistischen Wirken stets mit unseren eigenen, verinnerlichten Rassismen, Antisemitismen, Antiziganismen, Sexismen und andere menschenverachtende Ideologien kritisch auseinandersetzen und diese auch benennen müssen, um dieser Forderung gerecht zu werden. Wollen wir perspektivisch Faschismus und dessen fürchterliche Auswirkungen verhindern, geht dies Hand in Hand mit der Forderung, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden. Wir wollen Ideen erdenken, jenseits von Kapitalismus, Konkurrenz, Ausgrenzung und Nationalismus hin zu einer emanzipativen Gesellschaft, in der die Bedürfnisse jeder Person zählen, in der Solidarität über Eigennutz steht und in der die freie Entfaltung aller Personen und gegenseitige Fürsorge im Zentrum des gesellschaftlichen Handelns stehen. Wir von about:utopia unterstützen den Aufruf der migrantischen Selbstorganisationen zum Generalstreik am heutigen Tage. Dieser richtet sich explizit an Personen, die sich täglich mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Ausgrenzungserfahrungen konfrontiert sehen, an alle Personen der Gesellschaft. Um gemeinsam zornig und wütend zu sein, auf die Strukturen, die eben jene menschenverachtenden Ideologien nicht nur tolerieren, sondern sie sogar hervorbringen. Um die Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen, die so viele Mitglieder unserer Gesellschaft tagtäglich erfahren müssen. Um zu verhindern, dass das faschistische Potenzial unserer Gesellschaften erneut seine Grausamkeit und Brutalität unter Beweis stellt. Wir stehen gemeinsam gegen jeden Faschismus. Hier und überall!
Hier findet Ihr bald die Aufzeichungen der Redebeiträge von unserem Livestream am 1. Mai.
März 2016. Der sogenannte EU-Türkei-Deal wird verabschiedet. Bei einem Deal geht es nicht um solidarische Hilfe, sondern um einen knallharten Tauschhandel. Es geht in diesem Deal darum, Menschen wie Gegenstände, wie leblose Materie herum zu schieben - weil sie als störend empfunden werden, weil man sich das Genießen des eigenen, auf globaler Ausbeutung beruhenden, Wohlstands nicht vermiesen lassen möchte. Was heißt das genau? Syrer*innen sollen nicht nach Europa kommen. Sie sollen in der Türkei bleiben. Dafür gibt es Geld von der EU, ganze sechs Milliarden. Vordergründig um Unterstützungsarbeit in der Türkei zu finanzieren. Währenddessen werden Menschen tagtäglich zur Flucht gezwungen. Auch wenn man sich das in einem beschaulichen Ort wie Tübingen vielleicht nicht vorstellen kann: Aber Menschen lassen nicht ohne Grund ihr Zuhause, ihre Freund*innen und ihre Familien zurück. Sie tun dies, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sehen. Sie nehmen dabei die grauenhaften Gefahren der Flucht auf sich und sie gehen das Risiko ein, die Flucht nicht zu überleben. Sei es nun im Mittelmeer zu ertrinken, oder an der türkisch-griechischen Grenze erschossen zu werden. Jene, die es über die Grenzen Europas schaffen, werden für die langen Strapazen damit belohnt, in völlig überfüllten Lagern zu landen. Flucht lässt sich nicht verbieten und lässt sich auch nicht durch noch so perfide Deals einfach rückgängig machen - auch wenn deutsche Politiker*innen in diesen Tagen wieder über eine Erneuerung des Abkommens beraten. Und warum funktioniert das nicht? Weil die momentane grauenhafte Einrichtung der Welt strukturell Leid und Unrecht fabriziert. Weil die Zeit des Kolonialismus eine geteilte und auf Unterdrückung und Plünderung beruhende Welt geschaffen hat. Weil das globale, auf Profit ausgerichtete Wirtschaftssystem zwar etwas weniger offensichtlich aber nicht weniger wirksam, dieses koloniale Erbe nutzt. Weil zugelassen wird, dass Erdoğan emanzipatorische Projekte von Kurd*innen in Nord-Syrien militärisch angreift und damit noch mehr Menschen zur Flucht zwingt. Ende Februar 2020 öffnet Erdoğan die Grenzen zur Europäischen Union, um noch mehr Gelder für die Türkei herauszuschlagen. Wieder werden Menschen wie Ware behandelt, die EU spricht davon, sich nicht erpressen zu lassen und von einer Chance, gemeinsam die europäischen Grenzen zu verteidigen. Die Frage stellt sich, gegen wen die Grenzen verteidigt werden sollen? Es klingt, als wäre eine der EU feindlich gesinnte Armee auf dem Vormarsch. Die Akteur*innen der EU bedienen sich hierbei einer Rhetorik, die von Invasion und Flut handelt. Mit diesen populistischen Stilmitteln werden Menschen, die durch Krieg und Hunger aus ihrer Heimat vertrieben wurden, zu einer Bedrohung Europas stilisiert. Die Leidtragenden stehen im März vor der griechischen Grenze. Aus der Türkei heißt es: „Verschwindet von hier, wir wollen euch nicht durchfüttern!“ und aus der EU schallt es heraus: „Wir können nicht allen helfen!“. Diese Worte werden begleitet von Tränengas und Knüppeln. Mindestens ein Mensch wurde erschossen. Mohammed Yaarub aus Aleppo stirbt am 2. März auf der Westseite der Grenze. Die Lage spitzt sich aber nicht nur an den Grenzen zu, sondern auch auf den griechischen Inseln. Rassistische Kräfte aller Couleur versammeln sich und strömen auf die Insel, um Geflüchtete und Mitarbeiter*innen von NGOs anzugreifen. Am 19. März schließt die Türkei die Grenzen wieder. Über 40.000 Menschen wurden von der griechischen Regierung vom Grenzübertritt abgehalten, mehrere Hundert, denen dies gelang, wurden verhaftet. Wieso? Vordergründig wird der Ausbruch der Corona-Epidemie genannt. Im Hintergrund ist der Grund wahrscheinlich sehr viel simpler. Zwei Tage zuvor wurden der Türkei mehr finanzielle Hilfen und weitere Gespräche in Hinblick auf die angestrebte Zollunion zugesichert. Ein perverses politisches Ränkespiel, ausgetragen auf dem Rücken von Zehntausenden Schutzsuchenden findet seinen Abschluss. Und jetzt? Die Meldungen über Geflüchtete sind aus den Medien verschwunden. Kaum jemand berichtet noch über die Zustände in Moria und anderen Lagern. Die Corona-Pandemie überschattet alles Andere. Während sich der deutsche Staat auf eine zunehmende Anzahl von schwer erkrankten Corona-Patient*innen vorbereitet, werden die Geflüchteten allein gelassen. Viele Helfer*innen sind auf Grund der rechtsradikalen Übergriffe abgereist. Viele Weitere auf Grund der Pandemie. Die Geflüchteten aber sitzen fest. In einer Zeit, in der davon gesprochen wird, dass Abstand halten und regelmäßiges Händewaschen Leben retten wird, sitzen sie in einem Lager ohne genügend Wasser, ohne ausreichende medizinische Versorgung, zusammengepfercht, bis zu neun Menschen in einem Container. Moria ist schon jetzt die Hölle und wenn unter diesen Umständen das Virus die Lager erreicht, blicken wir einer Katastrophe entgegen, die das derzeitige humanitäre Desaster noch übertreffen wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass 20.000 und mehr Menschen einfach vergessen, oder schlimmer, wissentlich ihrem Schicksal überlassen werden. Während in Deutschland Versammlungen mit mehr als zwei Menschen verboten und 1.5 Meter Sicherheitsabstand vorgeschrieben werden, leben 20.000 Menschen auf einem Raum, der für 3000 vorgesehen war. Das ist unerträglich. Das System, in dem wir leben zeigt ein weiteres mal sein wahres Gesicht. Während zu Solidarität aufgerufen wird, werden all jene vergessen, die schon zuvor durch den Kapitalismus ausgegrenzt wurden. Wir lehnen diese menschenverachtende Politik ab. Wir sagen, dass Niemand unerwünscht ist. Wir fordern Zugang zu Gesundheit - unabhängig vom Ort der Geburt, von sozialen Verhältnissen und dem gewählten Lebensstil. Wir wollen eine Welt in der Platz für alle Menschen ist und nicht nur für jene, die vermeintlich „produktive“ Mitglieder der Gesellschaft sind. Wir fordern die sofortige Auflösung des menschenunwürdigen Geflüchtetencamps Moria. Wir fordern die deutsche Regierung dazu auf, die geflüchteten Menschen auf schnellstem Wege nach Deutschland zu holen und sie hier menschenwürdig unterzubringen. Wir wünschen uns eine Welt in der niemand zurückgelassen wird. Leave no one behind.
Bei dem nachfolgenden Text handelt es sich um einen von uns verfassten Redebeitrag im Rahmen eines Live-Techno-Streams am 21.03.20. Vor euch findet ihr nun die ungekürzte und nochmals überarbeitete Fassung. Liebe Nachbar*innen, liebe Freund*innen, liebe Menschen da draußen, wir alle erleben gerade mit Bestürzung, was um uns herum geschieht. Täglich überschlagen sich die Nachrichten und bei uns die Gefühle von Angst und Ohnmacht. Gleichzeitig erleben wir ganz praktische Solidarität in unserem Alltag, die uns Kraft gibt und Hoffnung weckt. Wir möchten versuchen, das aktuelle Geschehen in seiner politischen Rahmung zu verstehen und eine Perspektive zu finden, wie wir in dieser schweren Zeit miteinander leben könn(t)en und wollen. Wir, bedeutet in diesem Fall ein Zusammenhang unterschiedlicher Menschen, die Anfang dieses Jahres die Gruppe about:utopia ins Leben gerufen haben. Was uns eint, ist das Ziel, gesellschaftliche Missstände nicht einfach so hinzunehmen. Wir wollen diese aus dem Schatten heraus und hinein in unser aller Blickfeld ziehen. Beständige Kritik und Selbstreflexion sind angesichts des Zustands dieser Welt unverzichtbar. Unser Ziel ist es auch, neue Wege des solidarischen Miteinanders zu erdenken und auszuprobieren - und das auch schon im Hier und Jetzt. Das bereits seit langem bestehende Elend sowie vielfältige strukturelle Ungerechtigkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen treten angesichts der durch „Corona“ausgelösten Krise noch einmal verstärkt hervor. Die ungleiche wie auch unvernünftige Verteilung von Ressourcen, welche aus unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem hervorgeht, wird gerade auf sehr drastische Art und Weise in allen Lebensbereichen sicht- und spürbar. Und das nicht nur hier bei uns, sondern überall auf der Welt! Was wir nun auf keinen Fall tun dürfen, ist eine Atmosphäre der ständigen Angst voreinander zu erzeugen, was natürlich nicht heißen soll, dass wir uns nicht umsichtig und verantwortungsvoll verhalten sollen. Glücklicherweise gibt es hierzu inzwischen zahlreiche Artikel und Websites, mit deren Hilfe man sich informieren kann. Gesellschaftliche Hintergründe und Ursachen betrachten Genauso wichtig ist es aber, dass wir uns gemeinsam mit den gesellschaftlichen Ursachen der Pandemie auseinandersetzen. Nur so können wir uns wirklich nachhaltig schützen! Bei Viruserkrankungen wurde in der Vergangenheit immer wieder die Übertragung von Wildtieren auf den Menschen als Auslöser für Pandemien benannt. Dies wird derzeit auch auch beim COVID-19 vermutet. Das ist auch nicht falsch, vernachlässigt jedoch den Blick auf damit zusammenhängende tieferliegende Ursachen, wie der verantwortungslose Umgang mit Tieren oder die massenhafte Zerstörung der Lebensräume Wildtieren. Der verantwortungslose Umgang zeigt sich in der Fleischindustrie genauso, wie im unbedachten Verkauf von Wildtieren als exquisite Delikatessen. Durch die Massentierhaltung beispielsweise, wird ein fröhliches, unbeschwertes Verbreiten von Viren geradezu herausgefordert und tierische Mikroben können hervorragend zu menschlichen Krankheitserregern mutieren. Durch die Zerstörung tierischer Lebensräume wurden und werden Tiere gezwungen in größerer Nähe zum Menschen zu leben. So erhöht sich das Übertragungsrisiko, was es bezüglich der Prävention zukünftiger Pandemien zu beachten gilt. Und auch hier darf nicht vergessen werden: Die immense Zerstörung von Lebensraum findet unter dem Banner der Profitmaximierung statt und ist nicht an einer ausgewogenen und gerechten Versorgung aller Menschen orientiert. Wer also kein Problem mit der Ausbeutung der Natur und ihren Lebewesen hat, muss sehen, dass diese Haltung auf uns selbst zurück fällt. Eben in Form solcher Pandemien wie „Corona“. Es gibt strukturelle Gründe, die einen besseren Umgang mit der derzeitigen Situation verhindern Und nun zum gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie. Es gibt strukturelle Gründe, welche die derzeitige Krise verstärken oder einen guten und vor allem kollektiven Umgang mit ihr erschweren. Und auch diese Gründe haben etwas mit der Organisation unseres Wirtschaftssystems zu tun. Denn dessen oberstes Ziel und oberster Wert ist es, Kapital zu vermehren, das heißt Profit zu erwirtschaften. Alles andere wird nachrangig behandelt. Deshalb ist im Moment der Bereich des Gesundheitswesens besonders verletzlich und gefährdet. Eigentlich sollte dieser einer der wertgeschätztesten und bestausgebauten Bereiche einer Gesellschaft darstellen. Vor allem, wenn diese sich Humanität als Gebot auf die eigenen Fahnen schreibt. Denn was gibt es Wichtigeres als Menschen in Notlagen zu helfen und die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Gesellschaftsmitglieder zu sichern? Die Realität sieht leider anders aus. Der Mangel an Pflegekräften und die Überlastung des Systems „Krankenhaus“ sind Symptome eines Gesundheitswesens, dass den Gesetzen des Marktes ausgeliefert ist und gezwungen wurde, profitorientiert zu wirtschaften. Und das nicht erst seit kurzem, sondern seit Jahrzehnten. Maßgeblich waren und sind nicht das individuelle Wohlergehen oder Leiden sowie das zentrale Ziel, jedem Menschen bedingungslos die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Maßgeblich sind vor allem so genannte wirtschaftliche „Sachzwänge“. Das dies ein Problem darstellt, dürfte eigentlich niemanden mehr überraschen. Seit Jahren werden jedoch die Kritik und die Rufe nach Unterstützung aus dem Bereich der pflegenden und sorgenden Berufe einfach ignoriert. Legitimiert wird ein solches Verhalten durch die immer noch sexistischen Strukturen unserer Gesellschaft. Sogenannte „weibliche“ Berufe und Sorgearbeit können scheinbar problemlos schlecht oder gar nicht bezahlt werden. Wir könnten der derzeitigen Krise mit einem besser vorbereiteten und besser ausgestatteten Gesundheitssystem begegnen. Menschen, das heißt z.B. Pflegekräfte, müssten sich nicht halb tot arbeiten und in unnötige Gefahr bringen. Flächendeckende Tests für alle müssten eigentlich keine Frage des Geldes sein, wenn wir anfangen würden grundsätzlich etwas zu verändern. Wir fordern deshalb ein radikales Umdenken: Wohlergehen und die Gesundheit aller Menschen als oberstes Kriterium, anstatt Profitmaximierung! Und Medizin für alle, anstatt Luxus-Medizin für wenige! „Corona“ trifft unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Art und Weise Oftmals lesen wir in den letzten Tagen, vor „Corona“ seien wir alle gleich. Aber das stimmt so nicht. „Corona“ zeigt durchaus die grundsätzliche Verletzbarkeit aller Menschen in aller deutlichster Schärfe. Und damit wird auch sichtbar, dass wir alle aufeinander und auf gegenseitige Unterstützung angewiesen sind. Aber die Krankheit betrifft dennoch unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Art und Weise! Die aktuellen Entwicklungen treffen Menschen, die ohnehin schon benachteiligt oder besonders verletzlich sind, besonders schlimm. Alte Menschen, kranke Menschen, prekär Beschäftigte, Menschen in Armut, Menschen ohne festen Wohnsitz, ohne Krankenversicherung, psychisch angeschlagene Menschen, Alleinerziehende, Menschen in Gefängnissen, geflüchtete Menschen oder Illegalisierte. Gerade die Situation für Geflüchtete verschlechtert sich im Moment dramatisch. Beispielsweise an den europäischen Außengrenzen. Und dies abseits des Blicks der Öffentlichkeit. Zynischer Weise führt gerade der Fokus der Medien auf Corona zu einer verminderten Aufmerksamkeit gegenüber den besonders Schutzbedürftigen. Die ohnehin schon immer nur rudimentär vorhandene medizinische und hygienische Grundversorgung in den Lagern kollabiert und die Menschen sind den Gefahren, die aktuell vom „Corona“-Virus ausgehen, völlig schutzlos ausgeliefert. Die „Corona“-Pandemie ist ein globales Problem. Das Virus kümmert sich nicht um nationalstaatliche Grenzen. Und allein deshalb, erfordert diese Krise auch eine globale Lösung und globale Solidarität - und die kann nicht bedeuten, dass Abschottung betrieben und Menschen ihrem Elend überlassen werden. Solidarität bedeutet zurzeit „social distancing“, das ist richtig. Wenn wir uns dabei aber von denen abwenden, die Hilfe benötigen und uns gegenüber jenen abschotten, die besonders unseres Schutzes bedürfen, dann wird „social distancing“ zum egoistischen Freifahrtschein, keine Sorge und Verantwortung für andere übernehmen zu müssen. Deshalb sollten wir uns lieber vom Begriff des „social distancings“ verabschieden. Was wir brauchen ist „physical distancing“. Soziale Nähe ist vielleicht wichtiger denn je. Denn alle Menschen, die auch schon vor der „Corona“-Pandemie aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, dürfen jetzt nicht noch mehr ausgeschlossen und isoliert werden. Hier geht es beispielsweise auch um inhaftierte Menschen, die unter sowieso schon erschwerten Bedingungen unter Besuchsverboten leiden und gleichzeitig in ihrer Situation weit weniger gut vor Infektionen geschützt sind. Auch darf nicht vergessen werden, dass gerade unter Inhaftierten viele Menschen Risikogruppen angehören. Wir müssen die Augen aber auch gegenüber der Gefahr öffnen, die vielen Menschen, insbesondere Frauen*, durch die angeordnete Isolierung Zuhause drohen kann. Die meiste (sexualisierte) Gewalt passiert Zuhause, wohin sich die Menschen jetzt gerade zurückziehen müssen. Hört nicht weg und bietet Unterstützung an! In der eigenen Nachbarschaft genauso wie an den europäischen Außengrenzen oder anderen Orten auf dieser Welt. Der mangelhafte Umgang mit der Krisensituation liegt nicht an einem „Zuviel“ an Demokratie Im Laufe der letzten Wochen gab es vermehrt begeisterte Rufe nach autoritären Krisenlösungen. Wir verstehen, dass die Situation beunruhigt, Angst macht und uns oftmals mit einem Gefühl der Ratlosigkeit allein zurück lässt. Wir von about:utopia kennen diese Gefühle nur zu gut! Dass es zu einer Krise in diesem Ausmaß gekommen ist und dass der Umgang mit ihr mangelhaft ist, liegt jedoch nicht in einem „Zuviel“ an Demokratie, sondern an der Übermacht des wirtschaftlichen Leitsatzes: „Profit kommt an erster Stelle“. Was wir uns wünschen, sind eine kritische Haltung und einen kühlen Kopf, wann immer das möglich ist. Und das ist alleine sehr schwierig: Deshalb müssen wir uns vernetzen, füreinander da sein und zusammen überlegen und diskutieren. Wir dürfen in einer Krisensituation demokratische Strukturen nicht leichtfertig über Bord werfen. Dabei darf weder die kürzere noch die längere Vergangenheit vergessen werden, wenn wir Entscheidungen treffen und Freiheiten aufgeben. Es gibt nachweislich rechte Netzwerke in Polizei und Militär, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten, an dem sie die Macht ergreifen wollen. Diese waren und sind auch dazu bereit, Oppositionspolitiker*innen und alle anderen Menschen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen, zu exekutieren. Wir haben mit der AfD eine rechte, hetzerische und menschenverachtende Partei innerhalb der Parlamente, die sich gewiss nicht über vergrößerte Machtbereiche und autoritäre Maßnahmen beschwert. Was wir damit sagen wollen ist: Habt keine Angst, bekommt keine Panik aber betrachtet demokratische Strukturen und Maßnahmen nicht als in erster Linie hinderlich, sondern vielmehr als wertvoll und schützenswert. Dazu gehört auch Verantwortung füreinander zu übernehmen. Das betrifft die Einhaltung von Hygienemaßnahmen und Abstände genauso wie auch die Unterstützung beim Einkaufen oder auf emotionaler und finanzieller Ebene. Wenn wir diese Verantwortung eingehen, dann brauchen wir keinen „starken Staat, der regelt“. Dann können wir zusammen über noch mehr und bessere Demokratie diskutieren und Konzepte des Schutzes und der Fürsorge entwickeln, die alle Menschen miteinbeziehen. Was sich notwendigerweise und unverzüglich ändern muss Wir denken es ist deutlich geworden, wie fatal es sich auf eine Gesellschaft und das Leben von Menschen auswirkt, wenn die Befriedigung grundsätzlicher Bedürfnisse wie Gesundheit, Wohnen, und Lebensunterhalt nicht durch die Gesellschaft bedingungslos gesichert werden, sondern von den jeweiligen Entwicklungen und Hochs und Tiefs eines profitorientierten Marktes abhängig sind. Diese Pandemie lässt die Unvernunft des kapitalistischen Wirtschaftssystems deutlicher denn je zu Tage treten. Möchten wir wirklich die Möglichkeit eines besseren Umgangs mit solchen Krisensituationen schaffen, das Risiko weiterer Pandemien einschränken und verhindern, dass Solidarität eine reine Floskel bleibt, so müssen wir radikal umdenken. Im Hier und Jetzt und in unserem begrenzten Rahmen fordern wir deshalb:
Wir hoffen, dass nach „Corona“ nicht alles „beim Alten“ bleibt, sondern wir aus dieser Erfahrung lernen! Wir müssen solidarische Gesellschaften weltweit schaffen. Gesellschaften, die nicht Profitmaximierung in ihr Zentrum stellen. Was uns diese Pandemie auch jetzt schon gezeigt hat ist, dass eine enorme solidarische Mobilisierung möglich ist und wir diesen Impuls nutzen sollten, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und aktiv gegen diese vorzugehen. Wir wollen also miteinander füreinander einstehen und da sein. Was uns verbindet sind unsere gemeinsamen Ziele, Träume und Wünsche. Wir wollen aufmerksam dafür sein, welche solidarischen Alternativen und Versuche jetzt schon existieren und von diesen lernen. Wir wollen mutig neue Vorstellungen von der Zukunft und unserem Zusammenleben entwerfen – das heißt wir wollen Utopien wieder realistisch machen.